Didaktisches Design und die Transformation von Wissen im digitalen Zeitalter

Es ist vollbracht: der – im Community-Review-Verfahren, sowie vor Ort in der Ringvorlesung in Köln – diskutierte und überarbeitete Text zum Didaktischen Design liegt jetzt als zitierfähiger Volltext vor und steht zum Download bereit. Ich möchte mich hiermit nochmal herzlich bedanken, bei allen 18 Reviewern und den TeilnehmerInnen vor Ort in Köln und Magdeburg, die mich mit absolut hilfreichen Hinweisen und weiterführenden Literaturempfehlungen versorgt haben.

Bei der Überarbeitung des Textes habe ich mich bemüht, alle diskutierten Fragen zu berücksichtigen, soweit sie dazu beitrugen, die Argumentationslinie des Textes schärfer zu konturieren. Einige Punkte, für deren (Re-)Formulierung ich mir teilweise auch die diskutierten Originaltexte besorgt habe, möchte ich hier kurz hervorheben, um deutlich zu machen, wo die entscheidenden Änderungen und Ergänzungen am Text durchgeführt wurden.

Innovation

Martin Lindner und Norbert haben zu recht deutlich gemacht, dass der Begriff Innovation geklärt sein sollte, bevor er zur Definition des Bildungsbegriffs herangezogen werden kann. Entsprechend habe ich einen Abschnitt zum Thema Innovation eingefügt, der sich vor allem auf den Artikel „Die Innovationen der Gesellschaft“ von Werner Rammert stützt. Rammert führt hier aus, warum der klassische, ökonomische Innovationsbegriff dem gesellschaftlichen Wandel nicht mehr gerecht wird und präsentiert eine vorläufige umfassendere Definition von Innovation, die soziale und kulturelle Aspekte der gesellschaftlichen Entwicklung mit einschließt.

Beschleunigung

Christoph Schmieding hat – unter Berufung auf Vera King und Hartmut Rosa – darauf hingewiesen, dass, Bildung als permanente Innovation aufzufassen, problematisch sei, wenn man Kings Einschätzung teilt, dass sich durch zunehmende Beschleunigungen in den Generationenbeziehungen die kollektiven Rhythmen des sozialen Lebens weitgehend auflösen. Ich habe im überarbeiteten Text versucht, Vera Kings und Hartmut Rosas Argumentation nachzuzeichnen und dieser die Einschätzung von Hartmut Böhme entgegengesetzt, der aus kulturwissenschaftlicher Perspektive erklärt, dass gesellschaftliche Umbrüche schon immer als Beschleunigung erfahren wurden und dass der Mensch evolutionsgeschichtlich über erhebliche Anpassungsfähigkeiten verfügt.

Bildung

Bezüglich des Bildungsbegriffs haben Matthias Andrasch und Martin Lindner auf den strukturalen Bildungsbegriff von Jörissen/Marotzki hingewiesen. Stefan Iske hat darüber hinaus auf die transformatorische Bildungstheorie von Hans-Christoph Koller aufmerksam gemacht, die für mich eine spannende Neuentdeckung war. Beide Ansätze habe ich in einem zusätzlichen Absatz kurz erläutert und zur von mir vorgeschlagenen Definition in Beziehung gesetzt. Klaus Meschede plädierte dafür, ganz auf die Begrifflichkeiten Bildung und Innovation zu verzichten, diesem Vorschlag bin ich nicht gefolgt. Hier die Online-Diskussion dazu: #comment-67

Didaktik

Das Theorie-Praxis-Problem der Didaktik habe ich etwas ausführlicher herausgearbeitet, indem ich mit Dewey und Hetzel pragmatistisch argumentiere, dass wissenschaftliche Theorie nur eine besondere Form der Praxis ist. Der Praxisbegriff bei Dewey wird kurz erläutert und von Habermas´s Theorie kommunikativen Handelns – auf die Frieder(IttnerFA) in der Online-Diskussion hingewiesen hatte – abgegrenzt. Die strukturalen Aspekte von Bildung und Didaktik, auf die Stefan Iske mehrfach hingewiesen hat, sind aus meiner Sicht mögliche, aber nicht zwingende, Analysemöglichkeiten, die den Disput zwischen Lehr-Lernforschung und Allgemeiner Didaktik nicht wirklich auflösen.

Design

Wenn wir von Didaktischem Design reden, müssen wir natürlich auch den Design-Begriff klären, worauf Martin Lindner aufmerksam gemacht hat. Aus Zeitgründen und weil die Beschreibung für meine Argumentationslinie sehr treffend ist, habe ich hier einfach aus dem Wikipedia-Artikel zum Thema Design zitiert. Zudem habe ich diesen Abschnitt um Flechsigs Definition des Didaktischen Designs ergänzt.

Komposition

Zum Schlagwort »Komposition« hat Stefan Iske ein schönes Zitat von Nam June Paik beigetragen, dass zwar nicht Eingang in den Text gefunden hat, aber weil es so schön ist, soll es hier nochmal vorgetragen werden: “Es ist nicht das Wichtigste, neue Dinge zu entdecken, es ist das Wichtigste, neue Beziehungen zwischen existierenden Dingen herzustellen.”

Output-Orientierung

Das Thema Output-Orientierung (Bildungsstandards, Zensuren, etc.) habe ich im Text nicht weiter vertieft, weil da so viele Argumente auszutauschen wären, dass es schwer würde, eine transparente Argumentationslinie aufrecht zu erhalten. Vielleicht ist das ja ein Thema für eine spätere Publikation. Hier stattdessen der Link zur Online-Diskussion zu diesem Thema: #comment-40

Lebenslänglich

Zum Schluss noch ein paar Sätze von mir und Nicole D. dazu, warum ich den von Martin Lindner in Erinnerung gebrachten Begriff „Lebenslanges Lernen“ so ungerne benutze: #comment-24

Flechsig

Absolut spannend war für mich im Nachgespräch zum Vortrag, was Stefan Iske über Karl-Heinz Flechsig berichtete, den er noch persönlich an der Hochschule kennenlernen konnte: Flechsig hat sich wohl mehrfach empört darüber geäußert, dass sein in der Didaktik entwickelter Begriff des »Didaktischen Designs« von Vertretern der Instruktionspsychologie gekapert und uminterpretiert wurde. Vielleicht kann der hier vorliegende Artikel einen Beitrag dazu leisten, »Didaktisches Design« wieder zurück zu erobern und für die Lehrerbildung fruchtbar zu machen … Ich bin gespannt auf die weitere Diskussion.

Zitationsweise:
Neuhaus,W. (2012). Didaktisches Design und die Transformation von Wissen im digitalen Zeitalter. Blog Mediendidaktik. Retrieved June 18, 2012, from https://mediendidaktik.org/docs/didaktisches-design-neuhaus.pdf

  • Download des Artikels über mediendidaktik.org
  • Der Foliensatz zum Vortrag:

    Didaktisches design-2012-05-16 from Wolfgang Neuhaus

    Köln, 16.5.2012
    Ringvorlesung: Transformationsprozesse der Didaktik – Lehren und Lernen im medialen Wandel, Uni Köln


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    4 Antworten zu „Didaktisches Design und die Transformation von Wissen im digitalen Zeitalter“

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    2. Gunnar

      Sehr interessante Gedanken.

      Ich bin ehemaliger Lehrer, der die Schule auch deshalb verlassen hat, weil heutzutage in den verschiedenen Rollen, die ein Lehrer einnehmen darf/soll/muss, die Rolle des Chefs, der befehlsgebende Autorität wegen seiner immer vorhandenen Verantwortung besitzen muss, zu wenig akzeptiert ist. Daran ist die Didaktik nicht unschuldig, die ein partnerschaftliches Lehrer-Schüler-Verhältnis („auf Augenhöhe“) propagiert („Das Spektrum reicht vom Moderator, Coach, Fachexperten, Komiker über den Begleiter bis hin zum Supervisor.“ (S.21) (Supervisor ist ja nicht einem Chef vergleichbar).

      Der eigentliche Grund meines Kommentars ist jedoch ein anderer. es heisst am am Schluss des Artikels:
      „Die Erfahrung der Kontingenz verunsichert uns genauso wie die Einsicht, dass wir sterblich sind. Dennoch gehört es zum Erwachsensein dazu, sich damit abzufinden und vielleicht gerade deshalb unser Leben aktiv zu gestalten. Vielleicht sollten wir mit der durch die digitale Transformation verstärkte Kontingenzerfahrung genauso umgehen wie mit der Gewissheit des Todes. „Nietzsche hatte den Verdacht, daß nur Dichter Kontingenz wirklich zu schätzen wissen“ berichtet Richard Rorty. Nietzsche sieht uns „verurteilt, unser ganzes bewußtes Leben lang zu versuchen, der Kontingenz zu entrinnen, statt sie wie der starke Dichter, anzuerkennen und uns zu eigen zu machen“ (Rorty
      1992, S. 61). Vielleicht ist das die große Herausforderung unserer Zeit.“

      Nun, wenn Sie es als Aufgabe sehen, eine solche Botschaft/Haltung unseren Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dann ist das äusserst bedauerlich, traurig und langfristig schädlich für die Schutzbefohlenen. Sich mit etwas Erschreckendem/Schauderhaftem/zutiefst Verunsicherndem „abzufinden“, es „anzuerkennen“ – das soll als Motivation ausreichend sein, um sein „Leben aktiv zu gestalten“?
      Man soll dieses Erschreckende/Schauderhafte/zutiefst Verunsichernde gar sich „zu eigen machen“ und es „zu schätzen wissen“? Ja, wie denn?! Indem man ein „starker Dichter“ wird ?!! Die einzige Antwort, die es darauf gibt, die geben Sie nicht, gerade weil Sie Nietzsche zitieren. Die Antwort lautet: „Christus“. Er hat uns von unserer „Verurteilung“ erlöst. Alles andere trägt nicht, da jeder irgendwann, wenn keine „Droge“ mehr wirkt oder verfügbar ist, die entsetzliche Trostlosigkeit hinter einem gottlosen Leben begreift.

    3. wneuhaus

      Sicherlich ist es nicht einfach, sich der Kontingenzerfahrung zu stellen, zu Dichten, zu Komponieren oder zu Gestalten, ist ein Vorschlag von vielen denkbaren, mit dieser Erfahrung umzugehen. Gerade der aktive, gestalterische Umgang mit der Kontingenzerfahrung macht es ja möglich, dass Kontingenz eben nicht nur als „Erschreckend und Schauderhaft“ wahrgenommen wird. Möglicherweise ist es auch für den ein oder anderen die Religion, die hilft, Orientierung zu finden. Dass es aber nur eine einzige Antwort auf solche Fragen geben soll, halte ich für zweifelhaft und widerspricht meinem demokratischen, säkulären Weltbild.

    4. Gunnar

      Da ich immer mal wieder gern auf Ihrer Seite vorbeischaue und sah, dass Sie mir die Ehre einer Antwort erwiesen habe, möchte ich noch folgendes anmerken:
      Evtl. wäre es besser gewesen, statt von „einzig möglicher Antwort“ von „einzig möglicher Lösung“ geschrieben zu haben, um dem impliziten reflexhaften Vorwurf antidemokratischer Denkweise zu entgehen. Denn Antworten gibt es im demokratisch-säkularen (und auch sonstigen) Gemeinwesen natürlich jede Menge. Lösungen jedoch nicht. Zum Vergleich: Wer käme auf die Idee, den Unterricht über Quantenmechanik, welche sich als allg. akzeptierte „Lösung“ von Quantenphänomenen etabliert hat, durch Modelle zu relativieren, welche die Wirklichkeit nicht annähernd so adäquat, konsistent und überprüfbar beschreiben? Und wer würde gar seinen Schülern sagen: „Wir beobachten diskontinuierliche Energieniveaus. Man hat aber keine Lösung dafür. Akzeptiert es einfach!“? In den Naturwissenschaften doch undenkbar. Beim „Menschsein“ jedoch gilt heutzutage die „absolutistische Relativitätstheorie“, wonach alle Antworten relativ gleich seien, jeder selbst heraus finden soll, was für ihn „wahr“ und Äusserungen, welche Wahrheitsanspruch erheben, als anmassend und undemokratisch empfunden werden (»In einer absurden Dialektik wird jede explizite religiöse Äußerung als Diskriminierung der Nichtgläubigen verstanden und sogar gerichtlich geahndet.« Hans Winkler). Deshalb danke, dass Sie meinen Beitrag nicht einfach gelöscht haben.
      Übrigens: „Dem Leben eine verbindliche Form und Ausrichtung zu geben, statt von der unendlichen Vielfalt von Möglichkeiten überrollt zu werden,
      enthält eine im Kern religiös-spirituelle Dimension“ Christoph GELLNER (wer immer das sein mag…) Sich diese Verbindlichkeit in jüdisch-christlicher Tradition geben, ja schenken zu lassen, im Vertrauen darauf, dass Gott will, was mir entspricht, ist in Zeiten des Selbstkonstruktionsglaubens erstaunlich unpopulär.

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