Das Schulbuch der Zukunft ist ein
Schulbuch der Schüler

Eine Meldung von Markus Beckedahl, auf seiner Homepage netzpolitik.org hat jüngst die deutsche Edublogger-Community aufgeschreckt. In einem Vertrag zwischen den Kultusministerkonferenzen der Länder und dem Verband der deutschen Schulbuchverlage (VdS) wurde unter anderem vereinbart, dass die Verlage kommunalen und privaten Schulträgern eine Plagiatssoftware zur Verfügung stellen, die automatisch die Speichersysteme in mindestens 1% der öffentlichen Schulen nach nicht genehmigten Kopien durchsuchen soll. Gemäß der Statistiken des Statistischen Bundesamtes, beträfe das ca. 340 Schulen. Der damit transparent werdende enorme Vertrauensbruch gegenüber den Lehrern und die datenschutzrechtlich höchst bedenkliche Durchführung dieser Maßnahme führte zu empörten Diskussionen über die breit vernetzten Twitter-Clients der Edublogger. Christian Füller, Taz-Autor und Bildungsexperte, regte eine breitere Diskussion an, die voraussichtlich in zwei öffentlichen Veranstaltungen zum Thema münden wird – getragen von der Heinrich Böll Stiftung. Die Diskussion findet derzeit auf Twitter unter den Hashtags #sb20 und #schultrojaner statt, auf einem öffentlich zugänglichen Etherpad und auf dem Blog von Christian Füller. Auf Grund der aufgeheizten Diskussion konkretisierte der VdS die Gründe und Zusammenhänge für den geplanten Einsatz der Plagiatssoftware in einer dafür zusammengestellten FAQ-Liste. Im Anschluss an die Online-Diskussion kritisierte auch der Verband für Bildung und Erziehung den dubiosen Vertrag und die klassichen Medien griffen den Vorgang auf (siehe z.B. taz, ZDF oder Spiegel). In der Online-Diskussion wurde das Verhalten der Schulbuchverlage vielfach als Verzweiflungsakt gewertet, weil diese offensichtlich – ähnlich wie vor einigen Jahren die Musik-Industrie – keine Antworten auf den gesellschaftlichen Wandel durch die flächendeckende Digitalisierung und Kopierbarkeit externalisierter Kultur- und Bildungsgüter haben. So entstand die Frage, wozu in der heutigen Zeit überhaupt noch Schulbuchverlage gebraucht werden und es wuchs der Impuls in der Online-Community, die international bereits weit verzweigten Initiativen zu »Open Educational Ressources« (OER) im deutschen Schulwesen besser nutzbar zu machen. Hierzu entspinnen sich derzeit auf verschiedenen Blogs einige Ideen (z.B. herrlarbig.de , rete-mirabile u.a. ). Heise.de stellte spontan entsprechende Ansätze und Initiativen zum Thema OER in einem Artikel zusammen.

Im Vertrauen darauf, dass das zwielichtige Verhalten des Verbands der Schulbuchverlage von den politisch Verantwortlichen bald unterbunden wird (Die Piraten haben in Berlin mit einer großen Anfrage die Diskussion aufgenommen, Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger kritisiert bereits öffentlich den Vorgang), möchte ich hier aus konstruktivistischer Perspektive einige Aspekte zur Diskussion um die Zukunft des Schulbuchs beisteuern, die wir derzeit im Projekt »Technology Enhanced Textbook« diskutieren.

1. Lernen als kommunikative Auseinandersetzung mit der Erfahrungswelt
Lernen ist dann besonders erfolgreich und nachhaltig, wenn Lernende ihr Wissen aktiv konstruieren. Aktuelle Forschungsergebnisse der Hirnforschung bestätigen diese ursprünglich reformpädagogische Auffassung, genauso wie zahlreiche theoretische Modelle der Kognitionspsychologie. Der Aufbau aktivierbaren Erfahrungswissens ist verbunden mit vielfältigen aufeinanderbezogenen Lernaktivitäten wie Entdecken, Problemlösen, Kooperieren, Recherchieren, Kategorisieren, Konstruieren, Imitieren, Einprägen, Üben und Anwenden. Obwohl die hinter diesen Lernaktivitäten liegende psychologische Theorie gut entwickelt ist, setzen sich hierauf abgestimmte pädagogische Modelle in Schule und Hochschule nur langsam durch. Eine innovative Neuausrichtung im konstruktivistischen Sinne ist dringend erforderlich. Heute verfügbare Online-Technologien weisen große kommunikative Potenziale auf, die geeignet sind, derartige konstruktivistisch angelegte Lernsettings zu unterstützen. Für uns in der AG Nordmeier ist das ein Grund, ein technologisch erweitertes Lehrbuch zu entwickeln, das diese Potenziale besser ausschöpfen soll.

2. Probleme mit dem klassischen Schulbuch
Das klassische Schulbuch bietet nur wenige Ansatzpunkte für aktive Formen der Wissenskonstruktion. Die im wesentlichen rezeptive Nutzung des Schulbuchs führt dazu (wenn diese nicht mit erfahrungsaufbauenden Aktivitäten verbunden ist), dass Schüler sich bestenfalls »träges Wissen« aneignen, das in realen Situationen nicht abrufbar oder aktivierbar ist. Möglicherweise ist das auch ein Grund dafür, warum das Schulbuch zumindest im naturwissenschaftlichen Unterricht nur verhältnismäßig selten eingesetzt wird. Gottfried Merzyn führte in den 90iger Jahren eine bundesweite Befragung unter Physiklehrern zur Bedeutung des Schulbuchs durch. 577 Lehrer nahmen an dieser Befragung teil. Ein zentrales Ergebnis der Studie: „Obwohl Physik-Schulbücher primär für die Schüler gedacht sind, werden sie am intensivsten von Lehrern bei der Unterrichtsvorbereitung genutzt“ (Merzyn, 1994, S. 236). Er stellt fest, dass es weit verbreiteter Lehrerbrauch ist, sich von den Ideen unterschiedlicher Schulbücher bei der Planung des Unterrichts anregen zu lassen. Im Unterrichtsalltag der Physik werden Schulbücher vor allem für das gemeinsame Betrachten von Abbildungen, Grafiken und Tabellen herangezogen.

3. Open Educational Ressources und das »träge Wissen«
Wenn wir uns mit den Möglichkeiten des Internets und den vielfältigen digitalen Endgeräten befassen, die jede Art von Inhalten überall und jederzeit leicht verfügbar machen, liegt es nahe, »Open Educational Ressources« als generelle Alternative zum Schulbuch in Betracht zu ziehen. Was aus ökonomischen Gründen durchaus Sinn macht, nämlich einmal erarbeiteten Content auch anderen Lernenden auf diesem Wege zur Verfügung zu stellen, ist aus mediendidaktischer Perspektive nicht automatisch ein Erfolgsmodell. Wenn Lehrer ihren Content online z.B. in einem Wiki verfügbar machen (siehe z.B. ZUM-Wiki), dann hat dieser Content für die Schüler häufig auch keine andere Funktion, als Texte und Grafiken des Schulbuchs, die bestenfalls dabei helfen, träges Wissen aufzubauen. Das Wiki, genauso wie das klassische Schulbuch bleiben in solchen Fällen in erster Linie ein Medium des Lehrers, der hier Angebote zur Rezeption für seine Schülerinnen und Schüler zusammenstellt. Wäre es nicht besser, wenn wir über diese traditionelle Stufe des didaktischen Designs hinausgehen und Wiki und Schulbuch zum Medium der Schüler machen? Hier liegt aus meiner Sicht die große Chance des zukünftigen Schulbuchs. Schülerinnen und Schüler konstruieren ihr persönliches Wissen, werden zu Autoren und Gestaltern ihres eigenen personalisierten Schulbuchs, nutzen die ganze Vielfalt von online vefügbaren Medien-Modulen, Materialien und Informationen. Viele der oben dargestellten Lernaktivitäten zum Aufbau von Erfahrungswissen würden damit angeregt. Schülerinnen und Schüler mit schwierigem sozialen Hintergrund und geringen individuellen Lernvoraussetzungen wären allerdings in besonderem Maße darauf angewiesen, bei der Entwicklung entsprechender Fähigkeiten individuelle Unterstützung zu erhalten. Um die ganze Vielfalt möglicher Lernaktivitäten ansprechen zu können, müsste das Schulbuch der Zukunft noch über einige weitere Eigenschaften verfügen:

4. Das technologisch erweiterte Schulbuch als personalisiertes Medium
Derzeit entwickeln wir unterschiedliche Demonstratoren eines solchen Schulbuchs, die das Ziel haben, Phänomene unserer Umwelt durch aktive Handlungen erfahrbar zu machen. Aus didaktischer Perspektive kristallisieren sich dabei drei zentrale Funktionen heraus, die das »Lehrbuch« (im Ausbildungs- und Hochschulkontext) bzw. das »Schulbuch« (im Sekundarbereich und dem Gymnasium) in Zukunft bereitstellen wird:

  • Sammlungsort für die persönliche Externalisierung von Wissen
    Wir konzipieren das Schulbuch als personalisierte interaktive Anwendung auf mobilen Endgeräten wie Smartphones, Ipads, Android-Tablets u.ä. Die Portfolio-Funktion des technologisch erweiterten Schulbuchs ermöglicht es, selbst erstellte externalisierte Wissensfragmente, sowie über das Web zugänglich gemachte Content-Bausteine in individuell gestalteten, übersichtlichen Strukturen abzulegen (intuitiv bedienbar – nicht vergleichbar mit den umständlichen Funktionen längst überholter Learning Management Systeme). Die Navigation kann bei Bedarf neben der persönlichen Inhaltsstruktur auch die von Lehrern zusammengestellten oder durch spezifische Lehrwerke vorgegebenen Inhaltsverzeichnisse ein- und ausblenden. Die individuelle Wissenskonstruktion erhält so ein gut durchsuchbares, den eigenen Entwicklungsschritten angepasstes Abbild der persönlichen Konstruktions- und Rechercheprozesse. Integriert werden können alle über das Web zugänglichen Informationen, seien es »Open Educational Ressources«, Inhalte unter Creative Commons Lizenz oder von Wissensbrokern angebotene, kostenpflichtige Medien-Module.
  • Werkzeugkasten zur Erfahrbarmachung von Phänomenen in der Umwelt
    Die verschiedenen Sensoren und technischen Schnittstellen, über die mobile Endgeräte bereits heute verfügen, werden zum Messen, Detektieren, Experimentieren, Zeigen, Finden, Zusammenstellen und Kommunizieren nutzbar gemacht. Phänomene in der physischen, wie in der virtuellen Umwelt können handelnd untersucht, ausgewertet und analysiert werden. Aktive Formen der Wissenskonstruktion werden damit angeregt und unterstützt.
  • Schnittstelle für Kommunikation und Austausch
    Im Schulbuch erarbeitetes und zusammengetragenes Wissen kann auf allen Stufen der persönlichen Lern- und Erarbeitungsprozesse mit anderen Lernenden online ausgetauscht und kommuniziert werden. Dazu werden Schnittstellen zu gängigen Sozialen-Netzwerken wie Twitter, Facebook, Diaspora oder Google+ genutzt, wie auch Möglichkeiten zur Live-Kommunikation über Systeme wie Skype oder Google-Talk. Virtuelle Experimente können gemeinsam bedient und ausgewertet werden. Nach Bedarf können spezifische Zusammenstellungen von Inhalten an online vernetzte Partner weitergegeben werden.
  • Hinsichtlich der Finanzierung des »Technology Enhanced Textbooks« und der dafür verfügbaren interaktiven Medien-Module diskutieren wir mit potenziellen Verwertungspartnern (Bildungsmedien-Anbietern, Museen, Schulen, Hochschulen, Hörfunk- und Fernsehanstalten) Geschäftsmodelle, die es möglich machen, die Kosten für die Produktion zu decken. Sichergestellt werden soll dabei, dass ein Grundbestand dieser Medien als »Open Educational Ressources« verfügbar gemacht werden kann (Stiftungsmodelle, PayPerClick-Lösungen, kreative Formen der Mehrfachverwertung).

    Was denkt Ihr über die Umsetzung dieser Vision? Bis Ende 2013 wollen wir entsprechende funktionstüchtige Demonstratoren realisiert haben. Macht das alles Sinn? Übernehmen Wissensbroker in Zukunft die Funktion der Schulbuchverlage? Wie lassen sich didaktisch hochwertige Medien finanzieren? Wie können wir didaktische Qualität und »Open Educational Ressources« miteinander in Einklang bringen?

    Kommentare

    11 Antworten zu „Das Schulbuch der Zukunft ist ein
    Schulbuch der Schüler“

    1. Arne Oberländer

      Obwohl das Projekt TET nach Informationen aus Eurem Team einige der von mir formulierten Features (Neue Produktionsmethodik, Augmented Reality in Lebenswelten, …) weiterverwendet (oder auch gerade deswegen), kann ich Dir ganz klar verdeutlichen, was in diesem Kontext nicht ganz sinnvoll ist:

      Zu Deinem Punkt 1 (Konstruktivismus):
      Nichts Neues hier. Das haben eLearning-Projekte schon lange propagiert. Meine damaligen Kolegen und ich auch schon in Meducase/2001.
      ALLE Lerntheorien wurden in der einen oder anderen Form belegt, sonst wären sie nicht bekannt geblieben.

      Zu Deinem Punkt 2.:
      Falls Physiklehrer das Schulbuch immer noch so benutzen, wie Du das hier angibst, ist es hauptsächlich POSITIV! Wenn die besagten Lehrer – nach Studium des Schulbuchs – in der Lage sind, Unterricht ohne ins Schulbuch guckende Schüler zu gestalten, läuft alles gut. Das Leitmedium als Fallback ist gerade richtig. Offener Unterricht mit sozialer Interaktion (zum Anfassen) ist z. B. ein hehres Ziel, dass einen gut vorbereiteten Lehrer braucht, aber nicht unbedingt mediengestützt sein muss.
      BTW: Bei weitem nicht alle Schulbücher führen zu einer drögen Rezeption, sondern laden zu eigenen Aktivitäten ein. Nur kennen und nutzen muss man das auch.

      Zu Deinen Punkten 3 u. 4:
      Portfolios sind nun auch nicht neu. Ich würde sogar bezweifeln, dass die externalisierten Wissenskonstrukte im streng konstruktivistischen Sinne sind. Die Diskussion wäre hier aber zu lang.
      Warum sind die schulischen papierenen Portfolios meist nur Papierschrott? Weil oft jegliche Auswahlkompetenz bei den Lernenden fehlt und alles, was gefunden wurde, komplett ausgedruckt wird. Das ist ökologisch und für LehrerInnen ein Alptraum, da Bewertungsmöglichkeiten (außer: „ist komplett“) fehlen.
      Was ist an Eurem Entwurf anders? Offensichtlich gibt es kein Papier, dafür aber eine neue Navigation und Soziale Netzwerke, die ein Schülerportfolio beurteilen.
      OK.
      Aber woher kommt denn in diesem Fall die Auswahlkompetenz der Community? Ich weiß, was Networker dazu sagen, aber das überzeugt nicht.

      Für Dich (und für mich übrigens auch) mag die elektronische Wissensablage hilfreich sein und in der Tat Vorgänge für einen selbst nachvollziehbar darstellen, aber die SchülerInnen haben dann exakt die gleichen Probleme wie bisher (in Ihrem Sozialen Netzwerk „Lerngruppe“).
      Das heißt, die Kompetenzen, die VOR der Benutzung solcher Tools inhaltlich und methodisch zu erwerben ist, bleiben fürs Papier wie fürs Tablet gleich.
      Wenn die Vermittlung dieser Grundlagen etwa das eigentliche Problem in einem Unterricht ist, habt Ihr nur Probleme erzeugt, nichts verbessert.
      Wenn sowieso alles gut läuft, ist alles weitere irgendwie sinnvoll.

      Was die Diskussion und der Wunsch nach „gut durchsuchbar“ bedeutet, weiß ich als Architekt von CMS- und eLearning-Lösungen sehr gut. Ihr landet bestenfalls bei Metadatendefinitionen, die es schon gibt und bei allen damit verbundenen Problemen.

      Auf Eure Version des phys. Werkzeugkastens und auf Validierungsvorschläge für die Prozesse bin ich sehr gespannt. Das war und ist mein Gebiet.
      Virtuelle Experimente ebenso. In geeigneten Situationen kann man damit zaubern. Mal sehen …

      Zur Frage der Finanzierung:
      Würde der Schulbuchverlag, mit dem Ihr zusammenarbeitet, denn Geld geben, damit Ihr sein bisheriges Geschäftsmodell ersetzt?

      „Übernehmen Wissensbroker in Zukunft die Funktion der Schulbuchverlage?“
      ->Naja, das ist Euer Konstrukt; ein Begriff ohne genaue Ausarbeitung. Das kann man so nicht wirksam diskutieren.

      „Wie lassen sich didaktisch hochwertige Medien finanzieren?“
      -> In dem „didaktisch hochwertig“ eine Messgröße wird und Ihr ein Geschäftsmodell dafür entwerft. Die redaktionellen Entstehungsprozesse in Schulbuchverlagen sind anders, als man es von außen erwartet. Sicher kann man das ändern wollen, es sollte dann aber in jeder Hinsicht besser sein.
      Wie schwierig das aber zu finanzieren sein wird, erkennt man daran, dass beispielsweise nur recht wenige Interaktive Bildschirm Experimente, die bei Euch hergestellt werden, frei erhältlich sind … ;-)

      „Wie können wir didaktische Qualität und »Open Educational Ressources« miteinander in Einklang bringen?“
      ->Noch einmal: dieser Begriff ist ziemlich undefiniert. Lehrmaterialien sind nicht per se brauchbar oder unbrauchbar. Abbildungen oder Filme sind evtl. undeutlich, Animationen nicht interaktiv, Texte schlecht lesbar, aber das ist eine mindere mediale Qualität. Vielleicht meinst Du das. Gute LehrerInnen machen auch mit einem Wasserglas und einer Murmel Unterricht, den die SchülerInnen lieben.
      Ob etwas sinnvoll ist, entscheidet der Kontext.
      … was bei der Diskussion, selbstgemachte Lehrermaterialien zu verwenden, ein Hauptknackpunkt ist: die Entstehungsmotivation ist, die Lerngruppe besser zu unterstützen, als es das Schulbuch kann. Über alles andere bestehen – meiner Erfahrung nach – falsche, naive Vorstellungen.
      Aber das bleibt zu prüfen.

      Wie der „Schultrojaner“ einzuordnen ist, und dass sich viele schon dazu geäußert haben, hast Du berichtet.
      Diese Aktualität hier in einen Zusammenhang mit TET zu bringen (zumal Ihr von einem der Schulbuchverlage unterstützt werdet) ist ein sicherlich wirksamer SEO-Trick zugunsten des Projekts. Für eine wirkliche Antwort auf die aktuelle Situation bräuchte es aber auf allen drei Ebenen –
      Medium, Prozesse und Geschäftsmodelle – mehr als eine Vision.

    2. Ich stimme den Anforderungen, die hier an gute OER formuliert sind, voll zu. Im Moment teste ich an mehreren Orten die Möglichkeiten von Blogs, diese Funktionen (OER, interaktiv zur Editierung, Kommentierung, Externalisierung der eigenen Wissenskonstrukte, usw). Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut das funktioniert, jedenfalls für meine Fächer/Gegenstände/Domänen.
      Es funktioniert bei mir deshalb, weil ich kein „didaktisiertes Material“ brauche.
      Neue Beispiele:
      1. Eine 11. Klasse mit dem Thema Migration-Integration im Politikunterricht. (Das Material haben wir als kommentierte Sammlung von online-videos, -fotos, -artikeln vorgegeben – die SuS ergänzen mit selbst gefundenen Materialien durch Kommentare, die der admin dann übernimmt. Daran hat sich an einer Stelle eine Auseinandersetzung entzündet: darf / soll man auch auf Material hinweisen dürfen, das vllt nicht „politisch korrekt “ sein könnte? Ein hervorragender Lernanlass!) Die SuS sind gerade dabei, ihre erarbeiteten Beiträge einzustellen – work in progress …
      http://migrationintegration.wordpress.com
      2. Eine andere 11. Klasse wertet ihre Materialien, die sie an einer KZ-Gedenkstätte gesammelt haben, in blogbeiträgen aus … und es wird diskutiert – auch mit „außen“. Anschließend wird das so „selbst hergestellte Internet“ ausgedruckt und in der Schule zu einer Installation verarbeitet, um auch den offlinernen Lehrern, Eltern, Schülern Zugang zu ermöglichen; eine Schülerin beginnt, das blog global zu öffnen, indem sie eine Anglifizierung vornimmt …
      http://ewgprojektblog.wordpress.com
      http://ewg.projektblog.wordpress.com

    3. es macht so einen spaß, wenn der Kommentar beim Absenden einfach weg ist … ;-(

    4. wneuhaus

      @Lisa Rosa: sorry mein Spam-Filter war wohl zu scharf eingestellt.
      und @Arne Oberländer: Inhaltliche Antworten auf Eure beiträge kommen in Kürze, bin aktuell noch ins Tagungsgeschäft hier in Bremerhaven (MNU) involviert.
      Grüße Wolfgang

    5. wneuhaus

      @Arne Oberländer
      es sind ja ziemlich viele Punkte, die Du da ansprichst, ich möchte auf drei Punkte eingehen, die mir hier am wichtigsten erscheinen: die #sb20-Diskussion (Schultrojaner), der Konstruktivismus-Begriff und der Medienbegriff

      (1) #sb20-Diskussion
      Dieser Blogbeitrag entstand als konkrete Reaktion auf die Online-Diskussion um den sogenannten Schultrojaner, an der ich von Anfang an beteiligt bin. Diese lief schnell in die Richtung, die Open Educational Ressources (OER) als generelle Alternative zum Schulbuch zu etablieren. Deshalb war es mir ein Anliegen hier mit einem Statement deutlich zu machen, dass es nicht einfach nur darum gehen kann, »analoge Medien ins digitale zu übertragen« wie das Herr Larbig (Lehrer im Frankfurter Raum) anerkennend kommentierte. Sondern dass eben über die Verfügbarmachung von OER hinaus ein konstruktivistisches Verständnis vom Lernen erforderlich ist, um Lernen erfolgreich zu machen. Dieser Gedankengang ist in der Online-Community angekommen, wie die vielen Retweets dieses Beitrags zeigen (siehe z.B.: #sb20). Um der Diskussion – um den als Verzweiflungsakt der Schulbuchverlage eingestuften „Schultrojaner-Vorfall“ – einen Namen zu geben, wurde in der Community der Titel »Schulbuch 2.0« vorgeschlagen, da dieser über die reine Kritik am Verhalten der Schulbuchverlage hinausgeht und auf wirkliche Alternativen verweist. Da dieser Titel als Hashtag zu lang ist, einigten wir uns auf den Hashtag #sb20 als Abkürzung für Schulbuch 2.0 und @schb richtete uns das Etherpad mit dem gleichen Titel ein. Zwischenergebnis dieser Etherpad-Diskussion ist, dass die Böll-Stiftung voraussichtlich für zwei Veranstaltungen die Schirmherrschaft übernehmen wird: Zum einen eine Podiumsdiskussion zum Umgang mit dem sogenannten Schultrojaner noch in diesem Jahr und zum zweiten eine Tagung zum Thema Schulbuch 2.0 im Frühjahr nächsten Jahres, auf der Alternativen zum herkömmlichen Schulbuch diskutiert werden sollen. Insofern ist dieser Blogbeitrag kein SEO-Trick, wie Du am Schluss deines Kommentars unterstellst, sondern aus meiner Sicht ein wichtiger Beitrag zu dieser Diskussion.

      (2) Konstruktivismus
      Im Zusammenhang mit dem E-Learning ist das ein komplexes Thema, ich versuche mich kurz zu fassen, soweit das möglich ist (Lehrer, die die Auseinandersetzungen um das E-Learning in den letzten 50 Jahren nicht mitverfolgt haben, können diesen Kommentarabschnitt getrost überspringen). E-Learning ist für mich tot. Es handelt sich da um ein überholtes Konzept des 20sten Jahrhunderts, Computer, Internet und mobile Endgeräte waren zu dieser Zeit noch etwas neues. Verständlicherweise wurden in dieser Zeit die Möglichkeiten des Elektronischen exzessiv überbewertet, leider auch bis in einige Ecken der Psychologie hinein. Heute macht diese Überbetonung keinen Sinn mehr, weil diese Medien nicht mehr neu sind, weil sie heute allgegenwärtig und in unseren Alltag integriert sind. Heute können wir entspannt mit ihnen umgehen ohne ihnen zauberhafte Fähigkeiten zusprechen zu müssen, wie das teilweise im Instruktionsdesign üblich war. Die gesamte E-Learning-Branche hat viel zu lange auf das Instruktionsdesign gesetzt, das in der Tradition des instruktionspsychologischen Ansatzes von Robert Gagné heranwuchs. E-Learning setzte seit Gagné darauf, dass Lernprozesse durch Software gesteuert oder zumindest strukturiert werden können. Ich glaube es war Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als sich nicht nur innerhalb der E-Learning-Branche der Paradigmenwechsel vom Behaviorismus zum Konstruktivismus vollzog. Bezogen auf die E-Learning-Akteure in den USA hat diesen Übergang Rolf Schulmeister detailreich dokumentiert (in seinem Buch „Hypermediale Lernumgebungen“). Letztendlich setzte sich auch im E-Learning der Konstruktivismus als Paradigma durch, was Reigeluth und Merill zähneknirschend akzeptieren mussten. In Deutschland übernahm diese Rolle Ludwig Issing. Allerdings machten diese zentralen Akteure des Instruktionsdesigns keinen Schnitt zu gunsten des Konstruktivismus, wie es zu erwarten wäre, sondern behandelten den Konstruktivismus als im Grunde schon immer vorhandenen Bestandteil des Instruktionsdesigns. Diese merkwürdige, für viele Psychologen nicht nachvollziehbare Vereinnahmung des Konstruktivismus machte das Instruktionsdesign zu einer Randerscheinung in den psychologischen Wissenschaften. Bei uns in Deutschland führte das z.B. dazu, das der gesamte Forschungsbereich von Ludwig Issing nach dessen Erimitierung vom Fachbereich Psychologie ersatzlos gestrichen wurde, obwohl Issing plötzlich auch vom Konstruktivismus redete. Die tiefe Verzahnung des E-Learnings mit der Geschichte des Instruktionsdesigns macht E-Learning für anspruchsvolle Pädagogen im Grunde untragbar. In der professionellen Pädagogik hat sich ein auf den Menschen bezogener Konstruktivismus durchgesetzt, der sich nicht auf das Zusammenspiel von Gehirnfunktion und Medium reduzieren lässt. Wenn Du also von Konstruktivismus im Jahre 2001 sprichst, im Zusammenhang mit den E-Learning-Anwendungen für die Charité, dann höre ich doch stark diesen vergifteten Konstruktivismus-Begriff heraus. Konstruktivismus bedeutet für mich, zurückgehend auf Forscher wie Maturana, Varela, Watzlawick und von Glasersfeld, dass Lernende im Lernprozess eine individuelle Repräsentation der Welt schaffen. Der Psychologe Thomas Fuchs hat in seinem Buch „Das Gehirn ein Beziehungsorgan“ sehr gut die ganzheitliche Beziehung zwischen Mensch und Umwelt analysiert und beschrieben welche Funktion das Gehirn in solchen Prozessen des Erfahrungsaufbaus übernimmt. Bezogen auf die Bedeutung der Portfolio-Arbeit für konstruktivistisch verstandenes Lernen argumentierst Du etwas ungenau. Ich halte das selbstständige Zusammentragen, Aufbereiten und Strukturieren von Informationen für einen ganz wesentlichen Prozess beim Lernen. Und natürlich sind die Inhalte des Portfolios ein Abbild der persönlichen Wissenskonstruktionen und damit externalisiertes Wissen. Was natürlich zu unterscheiden ist von der Anpassung bzw. Veränderung der mentalen Strukturen des Lernenden.

      (3) Medienbegriff
      Du schreibst, dass offener Unterricht mit sozialer Interaktion nicht unbedingt mediengestützt sein muss. Das klingt für meine Ohren etwas irritierend, weil es nach meiner Kenntnis keine Möglichkeit gibt, ohne Medium zu kommunizieren. Wenn wir externalisiertes Wissen weitergeben wollen, Erfahrungen austauschen und kommunizieren wollen, dann sind wir auf ein Vermittelndes (also auf ein Medium) angewiesen. Welche Medien wir in solchen Vermittlungs- oder Kommunikationsprozessen einsetzen ist aus meiner Sicht zweitrangig, das kann einfach die Sprache sein, die Tafel oder ein digitales oder analoges Buch oder was sonst gerade greifbar ist in der konkreten Kommunikation.

      Eine letzte Anmerkung will ich noch machen. Du sprichst mehrfach davon, dass das was ich hier beschreibe nichts neues ist. Das ist eine Haltung, die mir häufiger begegnet und die ich für äußerst merkwürdig halte, weil es in dieser Diskussion vordergründig ja nicht darum geht, etwas neues zu schaffen. Mir geht es in dieser Diskussion vor allem darum, hilfreich zu sein bezüglich der Entwicklung von Lernumgebungen, die anregend und unterstützend sind für Lernende. Bezogen auf unser Projekt »Technology Enhanced Textbook« und der Rechtfertigung unserer Arbeit gegenüber dem Projektträger stellt sich diese Frage natürlich anders. Aber hier haben wir natürlich überzeugende Antworten bezüglich des Innovationsgehalts unseres Gesamtvorhabens, das ich hier jetzt aber nicht auch noch ausbreiten möchte. Das können wir ja vielleicht mal bei einem Bierchen besprechen.

    6. Arne Oberländer

      Cool. Als Abhandlung zum Konstruktivismus ist das wirklich sehr ausführlich. Ich hatte einen Moment lang übersehen, dass Du ja extrem im Schreibmodus bist. Freut mich. Ich achte jede sachlich begründete Sicht der Dinge (es sei denn, sie verletzt andere Menschen).
      Anyway, traurig macht mich der wirklich unnötige Hieb auf die Lehrer (die mit den 50 Jahren). Leider verstehe ich nicht, warum derartige Töne in dem Bereich um #sb20 auftauchen. Das dient sicher nicht der Zielsetzung, der, wenn man sie als Verbesserung der Bildungssituation versteht, sich sicher niemand verschließen würde. Wenn man ihn nicht von vorneherein ausschließt oder „angeht“.
      Es gäbe eine Menge ganz konkreter Dinge in diesem Bereich, die auch ich beitragen könnte. Sehr konkret. Aber das „Etherpad“ und alles drumherum ist für Nicht-Dauer-Follower ziemlich abstoßend, obwohl die Energie ziemlich hoch ist. Schade.
      Ansonsten:
      Du hast recht, aus kommunikationstheoretischer Sicht habe ich die Sache mit dem mediengestützten Unterricht ungenau formuliert. Ich bin mir aber sicher, dass es verstehbar war.
      Da das ja kein Trick war: das war dann intuitiv sehr suchmaschinenwirksam, sicher im messbaren Bereich.
      Zuletzt: Portfolios können eine feine Sache sein, daran habe ich keinen Zweifel. Auch dass Ihr den Projektträger überzeugen werdet steht außer Frage.
      Dass mit dem Bierchen kann passieren, aber erzähl mir dann nichts von TET.
      Es würde mich freuen, hier mehr darüber zu lesen.

    7. admin

      #Arne
      also das mit den 50 Jahren das ist kein Hieb auf die Lehrer, im Gegenteil. Es ist ein »Auf-Die-Schulter-klopfen« dass es ok ist, dass sie sich die vielen Jahre nicht haben anstecken lassen von den E-Learning-Euphorikern.

    8. was ich nicht verstehe, warum das alles „im schulbuch“ stattfinden soll. das netz ist ja von vornherein viel mächtiger. (und was für ein begriff von „buch“ bleibt dann noch?)

      vor allem: warum ein künstlich abgezäuntes, „didaktisiertes“ (ich zitiere Lisa Rosa oben) feld errichten und dann stolz berichten, dass es auch durchsuchbar ist und „schnittstellen“ zu den sozialen netz-medien hat? das ist ja wieder ein raum, der eben nicht dem/der schülerIn gehört.

      wenn die schülerIn da ihre lernresultate einspeist, ist das eben nicht „aneignung“ im emphatischen sinn. und sie müsste ihr ganz eigenes, selbst erarbeitetes wissen ja auch wieder mitnehmen können, bzw. besser eben von anfang an darüber verfügen. genau umgekehrt würde man dann bestimmte inhalte den lehrenden nur da gezielt öffnen, wenn es um bewertung oder hilfe geht. default wäre „selbstbestimmtes wissen“, der sonderfall „teile meiner arbeit, die ich ins bildungssystem einspeise“ oder „mit meinen peers teile“.

      was kann das „technologisch erweiterte schulbuch“, was eine geschickte Open Source-konfiguration von ganz normalen Web-Applikationen nicht besser könnte? wenn ihr die mobilen apps für untersuchungen der umwelt veerwendet, hat auch das ja nichts mit dem „schulbuch“ zu tun – das würde ja höchstens idee, anregungen, mögliche aufgabenstellungen liefern (was gut ist, aber schriftlich in jedem blog/wiki geht)?

      warum erfindet ihr schon wieder ein kleines web-im-web, so wie ilias, moodle und MS sharepoint usw. jetzt auch alle web-funktionen irgendwie in ihre proprietären walled gardens „integrieren“ wollen? warum entwickelt ihr nicht kleine mash-ups, browser-extensions oder clients, die es erleichtern, das eigene PLE (die „persönliche Lernumwelt“) zu bündeln, zu managen und zu bedienen?

      warum schülerInnen und studierende nicht von anfang an als mündige wissensarbeiterInnen ansprechen und behandeln? und denen dann eben alle hilfestellungen geben, die sie bei ihren persönlichen prozessen des „wissenwollens“ brauchen? dazu braucht es keinen didaktisch-pädagogischen sonderraum, der dann auch noch in einem eigenen tool gespiegelt wird.

      oder?

    9. wneuhaus

      Hallo Martin, habe Deinen Kommentar gerade erst entdeckt, spannende Fragen, die ich gerne beantworte. Da die Fragen den Kern meiner Auseinandersetzungen um das Lernen und die Wissenschaftskommunikation betreffen, lässt sich die Antwort nicht ganz kurz fassen:

      1
      » W A R U M   D A S   A L L E S   I M   S C H U L B U C H
      S T A T T F I N D E N   S O L L «
      Also mein Lernen und Leben findet überall statt, auf der Straße, im Wald, in der Disco, bei Freunden, auf Reisen, im Betrieb oder in den Institutionen und technologischen Infrastrukturen, die sich der Weitergabe unserer kulturell gewachsenen Wissensbestände verschrieben haben. Ich baue hier, analog oder virtuell vernetzt mit engeren oder weniger engen Freunden und Personen unterschiedlicher Communities ein Leben lang mein persönliches Erfahrungswissen auf, zu dem eigentlich auch nur ich einen Zugang habe, weil es in meinen Gehirnwindungen und Muskeln gespeichert ist und sich ständig weiterentwickelt. Dieses Wissen ist zu unterscheiden vom – sicherlich damit zusammenhängenden – externalisierten Wissen, das Individuen und Gemeinschaften auf Steinen, in Büchern, in Bibliotheken, auf Homepages, in sozialen Netzwerken oder sonstwo festhalten, um ihre Erfahrungen und die aus diesen Erfahrungen entstandenen Produkte weiterzugeben und für weitere soziale Interaktionen nutzbar zu machen. Und da fängt dann eigentlich mein Problem an: Die Welt ist so komplex, die Bibliotheken so endlos, die Homepages und digitalen Kommunikationskanäle so vielfältig, dass ich mich danach sehne, möglichst viele der für mich relevanten Externalisierungen und den dazu gehörigen Möglichkeiten, Planeten und Bewohner zu erkunden, Diagnosen zu stellen, Auswertungen vorzunehmen, zu kommunizieren, in einem Item bei mir zu tragen. Das Item meiner Begierde ist eigentlich der Tricorder, wie ihn Mr. Spock, Scotty & Co bei der Erkundung unseres Universums genutzt haben. Nur der Begriff »Tricorder« klingt für mich nicht universell genug, genausowenig wie »Portfolio«, »Ipad« oder »Tablet-PC«. Für mich hat tatsächlich der Begriff »Buch« etwas universelles, auch wenn das in der Kulturgeschichte des Buchs bisher wenig hervorgehoben wurde. Das Buch ist eben schon immer ein Ort, an dem Externalisierungen von Wissen zusammengeführt wurden, der genutzt wurde, soziale Interaktionen in Gang zu setzen und Visionen und Phantasien zu teilen. Ich würde diese zentrale Funktion des Buches gerne erweitern und es als persönliche, universelle mediale Schnittstelle zwischen Mensch und Umwelt begreifen. Wenn wir uns schon an einen erweiterten Kunstbegriff gewöhnt haben, warum sollten wir uns nicht auch an einen erweiterten Buchbegriff gewöhnen? Jeder Mensch ist ein Autor ! Deine Frage bezog sich aber nicht auf das Buch, sondern auf das »Schulbuch«. Die Einengung auf das Thema Schulbuch habe ich in diesem Blogbeitrag anlässlich der Diskussion um den sogenannten »Schultrojaner« vorgenommen, um aus der hier geschilderten Perspektive Einfluss zu nehmen auf diese Diskussion. Ansonsten befasse ich mich vor allem auch um die Erweiterung von Lehrbüchern, wie sie in der Hochschullehre eingesetzt werden und generell um Wissenschaftskommunikation. Aber ein Schulbuch im Stile eines Tricorders wäre für mich schon eine coole Sache.

      2
      » D I D A K T I S I E R U N G   U N D   D E R   R A U M ,
      D E R   N I C H T   D E M   S C H Ü L E R   G E H Ö R T «
      Also was Du oder Lisa unter »Didaktisierung« verstehen, weiss ich nicht. Ein für mich zentraler Begriff ist das »Didaktische Design«. Da geht es um die Gestaltung von Lernumgebungen und entsprechender Lehr-Lernszenarien und damit vor allem um die Entscheidungen, die ich als jemand treffe, der in einer Institution dafür zuständig ist, die Weitergabe kultureller Errungenschaften für die Beteiligten möglichst gewinnbringend zu organisieren. Die Entscheidungen, die Lisa bezüglich ihrer 11. Klasse getroffen hat, die Schülerinnen und Schüler im Internet recherchieren zu lassen oder vor Ort an eine historische Gedänkstätte zu gehen, um die dort gesammelten Eindrücke in Blogs oder Wikis zu verarbeiten, sind für mich klassische Fragen des Didaktischen Designs. Die Frage ob der damit erschlossene Raum dem Schüler gehört, ist wirklich nicht ganz einfach zu beantworten. Zumindest in unserer Vision von einem Schulbuch der Zukunft wäre das klar: Alle Items, die mir persönlich wichtig sind, kann ich auch auf meiner persönlichen, individuell gestalteten Hardware ablegen, darüber frei verfügen und entscheiden, was davon ich öffentlich machen will und was nicht. Im Falle der Schülerblogs von Lisa wäre das möglicherweise problematischer, weil die Schüler der Firma Automatic (offizieller Betreiber des WordPress-Blog-Services) das Recht übertragen haben, ihre Inhalte zu reproduzieren, zu verändern und anzupassen und das sie davon ausgehen müssen, das das Löschen der eigenen Beiträge nicht in jedem Fall wirksam sein wird (siehe Terms of Service der Firma Automatic: http://pages.citebite.com/h1o4c1v8f8exd ).

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      » D E F A U L T :   S E L B S T B E S T I M M T E S   W I S S E N «
      Das ist die Prämisse von der wir ausgehen, wobei wir lieber von selbstbestimmten Formen des Lernens sprechen, weil damit die Aktivität betont wird, die für die Wissensaneignung eine große Rolle spielt. Aus welchen Sätzen Du liest, dass das in unserer Vision anders sein könnte, ist mir unklar. Schnittstellen zu anderen sozialen Netzwerken bieten Möglichkeiten zur sozialen Vernetzung, sind spätestens seit dem Web 2.0 Standard und aus meiner Sicht kein Symptom für die Abgeschlossenheit eines Systems.

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      » M A S H U P S ,   D I E   E S   E R L E I C H T E R N ,
      D A S   E I G E N E   P L E   Z U   B Ü N D E L N «
      Das ist zentraler Teil der Vision, die wir verfolgen. Wir wollen das ganze allerdings etwas professionalisieren, um auch Nicht-IT-Affinen Menschen die Chance zu geben, innovative Technologien für sich nutzbar zu machen. Ich nutze seit vielen Jahren Blogs, Wikis und die ganzen sozialen Netzwerke, inklusive der Widgets und Skript-Snippets, aus denen ich schon zahlreiche Mashups gebastelt habe. In den Bildungskontexten in denen ich bisher gearbeitet habe, habe ich entsprechende Lösungen vorangetrieben, weil ich die sogenannten »Learning Management Systeme« wie z.B. Moodle, Blackboard oder ILIAS aus ähnlichen Gründen ablehne wie Du. Allerdings ist meine Erfahrung als IT-affiner Lerner, dass zum einen meine selbst zusammengefrickelten Mashups hinsichtlich der Usabiliy und dem konkreten Nutzen ausbaufähig sind und das viele auf dem Markt befindliche Lösungen nicht an den Bedürfnissen von Lernenden orientiert sind sondern eher an den Bedürfnissen der IT-Branche. Insofern halte ich es definitiv für lohnenswert, ein System zu entwickeln (als kompaktes editierbares »Portfolio«, »Mashup«, oder eben »Buch«) mit dem ich meine Lern- und Kommunikationsbedürfnisse wirklich unkompliziert befriedigen kann.

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      » D I D A K T I S C H – P Ä D A G O G I S C H E R   S O N D E R R A U M «
      Die Existenz »didaktisch-pädagogischer Sonderräume« wie Du sie nennst, ist nach meiner Erfahrung – und auch der Blick in die Literatur legt das nahe – ein typisches Merkmal von Communities, sich weiterentwickelnder sozialer Gemeinschaften und Gesellschaften. Soziale Interaktion, Neugier und die Weitergabe kultureller Errungenschaften bilden das Fundament solcher Gemeinschaften. Wachsen sie so weit heran, dass das gemeinsam generierte Wissen nicht mehr von Einzelnen der Gemeinschaft aufbewahrt werden kann, entstehen immer neue Formen der Weitergabe. Bis hin zur Entstehung von Institutionen wie Theatern, Konzertsälen, Bibliotheken, Museen, Schulen und Hochschulen oder dem Internet. All das sind für meine Begriffe didaktisch-pädagogische Sonderräume, auch wenn der Begriff Didaktik bei einigen eine negative Konnotation hervorruft. Das Mozilla drumbeat Festival bildet so einen Sonderraum genauso wie die museale Konservierung der KZ-Gedenkstätte, in die Lisa ihre Schüler geschickt hat, die Web-Videos, die uns anleiten Mashups zu basteln oder eben auch das Buch.

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      » F O R S C H E N D E S   L E R N E N «
      Ein Kernaspekt unseres Vorhabens ist die Einsicht, dass Lernen aktiv als Konstruktion stattfindet und das demnach Schreiben und Lesen in einem Blog oder Wiki keinesfalls ausreichen, um z.B. naturwissenschaftliche Zusammenhänge erfahrbar zu machen. Ich möchte halt auch die Geschwindigkeit des Schalls mit meinem Tricorder messen und analysieren können, mit zwei Ipads haben Studierende von uns das z.B. kürzlich durchgeführt, zukünftig können Lernende dann auch ihre technologisch erweiterten Lehrbücher dazu nutzen, weil die Schnittstellen haben zu den für den jeweiligen Zweck besten Apps. Spannend ist es auch Ergebnisse aktueller Forschung für Lernende nutzbar zu machen. Aktuelles Beispiel: Ein Forscher des Naturkundemuseums Berlin hat kürzlich in Südamerika einen Wespen-Typ entdeckt, der der internationalen Forschergemeinschaft noch unbekannt ist. Wir produzieren für diese Forscher hochaufgelöste räumlich drehbare Aufnahmen des Insekts, das am kommenden Freitag im Museum der Weltöffentlichkeit vorgestellt wird. Die dafür produzierten Medien werden dann auch über unsere Medienplattform unter einer Creative Commons Lizenz in einem für Internetnutzer tauglichen Format verfügbar gemacht. Hier der Link zur hochaufgelösten Version, die nur mit Firefox und großer Internet-Bandbreite betrachtet und gedreht werden kann (weil in diesem Fall tatsächlich zunächst nur für die Forschung produziert wird): http://didaktik.physik.fu-berlin.de/impal/Naturkunde/IBE/hp/

      naja, soweit erstmal, vielleicht kannst du ja was damit anfangen?

    10. […] Ein Artikel von mediendidaktik.org: Das Schulbuch der Zukunft ist ein Schulbuch der Schüler […]

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